Unterhaltung: Russland von heute

Stoni, 23. Juni 2013, um 17:03

Mein Russisch ist nicht gut genug, um die Bücher zu verstehen, die die Tochter durcharbeitet in Politik, Geschichte ... von den Bildern her zu urteilen wird ziemlich offen bewältigt.
Negativ aufgefallen sind mir russische Nationalisten, die Stimmung insbesondere gegen Kaukasier machen, wie Navalny.
Der Hass auf die Oligarchen ist gross, ich nehme mal an, dass niemand wirklich Mitleid mit Chodorkovski hatte.
Probleme wie Korruption, Beamtenwillkür, abhängige Justiz oder fehlende Gewaltenteilung werden merkwürdigerweise kaum Putin angelastet, immer mehr aber noch nicht ausreichend.
Heute ist das Mittel der Opposition das Internet, Putins grösste Sorge, so versucht er ja auch dagegen vorzugehen.
Nach neuesten Zahlen liegt die Verbreitung immerhin bei über 40% ... die gebildeten Städter kennen die Wahrheiten und haben sich ja auch mehrheitlich schon abgewendet, aber um die Mehrheit zu erreichen brauchst Du TV, Presse und da kommen Wahrheiten kaum ans Licht.
Putin ist im TV omnipräsent ... und immer mit guten Nachrichten. Gibt es Katastrophen, schlechte News oder Mißstände erscheinen immer andere, und es werden Bauernopfer gesucht, auch Medvedev wird aktuell schon aus den eigenen Reihen angegangen wegen Korruption und gescheiterten Projekten für Sochi 2014.

Stoni, 23. Juni 2013, um 17:07

Kleidung? ))) Männer sind schlecht angezogen, Frauen wundervoll ))

Jüngere Mädchen tragen und zelebrieren eng anliegende Jeans, schwarze Kunstlederjacken, Miniröcke und Lederstiefel, schwarze Stilettos, bunte Blusen, Pferdeschwanz und Pony, und die Jungs, die gern durch die Zähne ausspucken, lieben ausrasierte Nacken, kahle Köpfe und glänzende Sportanzüge. (zum Glück nicht da, wo ich bin ))

Nicht jeder Frau aus Volgograd sieht aus wie Agentin 006, aber ähnlich angezogen:
http://www.annachapman.ru/wp-content/gallery/main/iqyzn0ute30.jpg

Russische Frauen legen viel Wert auf perfekte Schönheit und Eleganz. Teure Kosmetik und auffallende Kleidung ist für Russinnen ein alltägliches Muss.

"Ich weiß, dass es auch hier kleine Frauen gibt und große, dicke und dünne, die genauso wie die Deutschen Zara und Mango mögen. Trotzdem kommt es mir vor, als liefen hier nur Wesen in Kleidern aus Luft durch die Straßen, deren Beine dort aufhören, wo meine Schultern anfangen, und die geschminkt sind wie im Kabuki-Theater."
Wlada Kolossowa, 24 (russisch­stämmig auf ihrer Heimatreise)

http://photography-now.com/newsimages/zftrus_frauen.jpg

In der Wahrnehmung von Nichtrussen sind sie meistens übermäßig geschminkt und zu auffällig angezogen. Für Westeuropäerinnen ist das Wichtigste, sich wohl und natürlich zu fühlen und sich selbst zu gefallen. Daher auch die Vorliebe für bequeme Kleidung und ein leichtes Make-up für jeden Tag, das die natürliche Schönheit unterstreicht.
Die russische Frau möchte hingegen Tag für Tag ein perfektes Auftreten haben und ihrer Umgebung zeigen, dass sie die beste ist. So lassen sich das für europäische Verhältnisse üppig aufgetragene Make-up, die hohen Absätze und der sexy Kleidungsstil erklären. Natalja hat in den USA ein Auslandsjahr absolviert. Sie findet, dass es für die meisten Russinnen im Ausland schwer ist, sich an den westlichen Casual-Stil zu gewöhnen. „Auf die Frage, wie sich Amerikanerinnen schminken, kann man unterschiedlich antworten: ‚bequem und praktisch', würden diese antworten. Wir würden sagen: ‚unauffällig oder gar liederlich'".

Für das Schönheitsideal der Russinnen gibt es viele Erklärungen. Manche weisen auf den akuten Männermangel der Nachkriegszeit bis heute hin, der die Frauen in ein seither zur Norm gewordenes Konkurrenzverhältnis brachte. Andere sind der Meinung, dass die Russinnen die 70 Jahre währende Sowjetherrschaft, in denen die Verkörperung der Weiblichkeit und jegliche Auffälligkeit verpönt waren, nun kompensieren. Oder das Ornamentale der skythischen, byzantinischen und mongolischen Kultur leben.

Ex-Füchse #67478, 24. Juni 2013, um 00:32

http://blog.zeit.de/stoerungsmelder/2013/06/22/white-rex-nazimode-aus-russland_13291

Ex-Füchse #365, 24. Juni 2013, um 09:11

Was willst Du uns jetzt damit sagen Stevie?
Übrigens Thor-Steinar-Klamotten kommen aus Deutschland und Dubai (nicht Norwegen oder Russland) und Lonsdale ist ne britische Marke (die haben sich allerdings von ihren rechten Kunden distanziert).

Stoni, 24. Juni 2013, um 10:44

RUS ist in der Tat nationalistisch gefährdet. Zumindest ein Drittel der russischen Wähler ist durch nationalistische Losungen mobilisierbar.
Der "liberale" Boris Nemzow, Ex-Vizepremier, spricht im Spiegel-Interview davon, dass eine Revolution in Russland nicht "orange", wie 2004 in der Ukraine, wäre, sondern "braun".

Dabei fallen insbesondere, die in westlichen Pressekampagnen hofierten Garri Kasparow und Alexej Nawalny immer wieder mit Nazi Nähe auf.

Den nationalistisch-autoritären Wählern bieten sich in Russland einige Alternativen: die linksnationalistischen Kommunisten, die mindestens so nationalistisch, antisemitisch und rassistisch sind, wie sie kommunistisch sind. Die KPRF (Kommunistische Partei der Russischen Förderation) könnte bis zu 15% der Wählerstimmen erlangen.

Dies gilt auch für die rechtsradikale LDPR (Liberaldemokratische Partei Russlands.) von Vladimir Schirinowski.

Eduard Limonow ist der Gründer der Nationalbolschewistischen Partei (NBP), eine neofaschistische und nationalbolschewistische russische politische Partei. Sie wurde 2005 vom Obersten Gerichtshof Russlands verboten, weil sie zu einem bewaffneten Umsturz der Regierung aufrief. Nach dem Verbot beteiligte sich Limonow in mehreren außerparlamentarischen Bündnissen u.a. mit Liberalen und Trotzkisten. Der neonazistische Kampfbund Deutscher Sozialisten (KDS) von Michael Kühnen wurde von der NBP als Bruderpartei anerkannt.

Garri Kasparow und Boris Nemzow sind aus dem sog. liberalen Lager, wobei Kasparow schon lange keine Berührungsängste mit den Nationalbolschewisten hat. Aktivist_innen des liberalen Bündnisse Solidarnost von Garri Kasparov, beteiligten sich ebenfalls sichtbar und offen an dem Marsch der Nationalist_innen. Sie waren schon bei Veranstaltungen im Rahmen der anti-kaukasischen Kampagne landesweit aufgefallen und scheinen nun den Schulterschluß mit den Nationalist_innen festigen zu wollen. Außerdem ist erwähnenswert, daß, wie „Sova“ berichtet, eine Flagge der NSDAP ebenfalls ohne Intervention der Organisator_innen und der Sicherheitsbehörden gezeigt wurde.

Alexej Nawalny, Blogger. Oppositionsführer, Organisator und Moderator politischer Debatten. Organisation und Teilnahme am so genannten „Marsch der Millionen“, Blogger, gründete u.a. die Webseite RosPil, die Dokumente über die Veruntreuung von staatlichen Geldern veröffentlicht. Einer der Oppositionsführer nach den umstrittenen Parlamentswahlen 2011.
Berühmtes Zitat: „Die Partei Einiges Russland ist eine Partei der Korruption, eine Partei der Gauner und Diebe.“
Nawalny kooperierte mit der inzwischen wegen Extremismus verbotenen nationalistischen "DPNI", der "Bewegung gegen illegale Migration". http://www.youtube.com/watch?v=ezn0A---yk0

Selbst die neoliberalen Partei Jabloko, bei der Nawalny früher war und die ja im Westen doch recht anerkannt ist, hat Nawalny wegen Extremismus und Rassismus rausgeschmissen. Mir persönlich zuwider wegen seinen rassistischen Äußerungen und seinem Aufruf zum Völkermord an Kaukasier.
https://www.youtube.com/watch?v=jVrAPFBSKnk

Stoni, 24. Juni 2013, um 13:34

Um das Thema abzuschließen oder rund zu machen, noch ein paar bewusst nicht unprovokative Thesen, jenseits der westlichen Presskampagnen:

Putin ist kein Despot, sondern wurde vom russischen Volk mit großer Mehrheit gewählt und an dem Rückhalt der Mehrheit der Russen für Putin gibt es keine ernsthaften Zweifel.

Russland ist wieder Gegengewicht zur USA, weil es nach wie vor ein Konkurrent beim Kampf um den totalen Einfluss auf der Welt ist. Solange es Russland in dieser Form noch gibt, können die USA nicht vollkommen nach Belieben tun und lassen, was sie wollen. Und das ist gut so! Wir sollten uns überlegen, warum wir uns in den amerikanischen Kampf um die Welt einspannen lassen, anstatt unsere eigenen Interessen zu vertreten. Und diese sind zumindest auch gute Beziehungen zu Russland.

Mir geht es nicht darum zu bestreiten, dass Putin zu repressiv ist oder die Menschenrechte selbst in einer Basisversion verletzt. Mir geht es darum, zu akzeptieren, dass RUS einen eigenen Weg zur eigenen Demokratie gehen darf, und dass wir zwar das Recht haben, RUS zu kritisieren, aber nicht an den Pranger zu stellen. Selbst dann nicht, wenn RUS gegen unsere westlichen Werte und Demokratie-Vorstellungen verstößt. Diese sind eben nicht einfach global und für allgemeingültig zu erklären.
Auch wenn die Verständigung auf gemeinsame Menschenrechte wünschenswert wäre.
Wer darf RUS verbieten, das Demonstrationsrecht für Homosexuelle zu beschneiden? Ist das demokratisch, weil die Mehrheit das unterstützt oder undemokratisch, weil das Recht von Minderheiten beschnitten wird?
Müssen RUS und die Menschen Werte übernehmen, Toleranz üben, die sie mehrheitlich (noch) gar nicht wollen, oder wollen wir akzeptieren, dass RUS noch eine längere Zeit braucht, bis diese Werte selbst gewollt sind?

Ist die Überwachung ausländischer NGOs ein berechtigter Schutz vor Infiltration von aussen, wie sie der Westen ja schon einmal 2004 erfolgreich in der Ukraine praktiziert hat oder in Georgien. Oder die faktische Behinderung international üblicher Organisationen?

Die Verschärfung des Demonstrations-Rechtes ist wohl kaum zu rechtfertigen, wird aber immer wieder bestritten (Inflationsanpassung)...

Sind die Verfahren gegen Oppositionelle reine Willkür oder haben nicht viele tatsächlich Dreck am Stecken, wie so viele Mächtige und Reiche in RUS?

Ist es Schuld der Russen, dass sie Demokratie, Freiheit, die Westorientierung unter Jelzin&Co. mit einer Schwächung und Plünderung ihres Landes verbinden?Und ist es nicht auch verständlich, dass viele Russen noch andere existentielle Prioritäten haben als Demokratie, Menschenrechte, Minderheitenschutz, ...?

Ich wäre sehr dafür, RUS hätte eine politische Führung, die anders agiert als Putin ... aber mit welchen Rechten schreiben wir RUS vor, wer und wie dort nach innen regiert wird?

Wandel durch Annäherung, diese Wort von Egon Bahr gilt mehr den je. Wandel durch erhobenen Zeigefinger und Besserwisserei wird man nicht erreichen.

Wenn man sich die Lage in Syrien anschaut, ist keine von beiden Seiten unterstützenswert. Die russische Position ist nicht falscher als die westliche. Ob nun ein Diktator oder Islamisten unterstützt werden - verdient hat es keiner. Beide Seiten gehören vor ein UN-Kriegsverbrechertribunal. Die Idee, durch westliche Unterstützung unser Verständnis von Demokratie und Menschenrechten in der Welt zu verbreiten, hat seit Vietnam mehrheitlich zu noch mehr Elend geführt. Und oft war es auch nur ein vorgeschobener Kriegsgrund, um unseren Machtanspruch und unsere Wirtschaftsinteressen durchzusetzen.

Wenn wir Putins Russland anklagen, vor allem wegen der Verletzung von Menschenrechten gegen eigene Bürger, wie bewerten wir das Verhalten unseres Verbündeten, der USA, die gerade unsere Menschenrechte (nicht nur das eigener Bürger) verletzen? Und die menschenrechtsverachtende Verfolgung der Whistleblowers Snowden, Assange und vor allem Manning, die die Wahrheit über amerikanische Kriegsverbrechen und Folter aufgedeckt haben?

Cliff, 24. Juni 2013, um 18:00

Auch wenn es nachvollziehbar ist (besonders durch Deine besondere Beziehung zu dem Land) finde ich Deine Argumentation nicht gut Stoni.

Meiner Meinung nach sollte nicht kritisiert werden, dass Putin/Russland “angeklagt” wird, sondern dass z.B. die USA nicht angeklagt wird.

Das “Vorschreiben” von dem Du sprichst ist ein Abgleichen des Verhalten anderer mit der eigenen Moralvorstellung. Viel weiter reicht der Wirkungskreis des Fuchstreff-Forumschreibers auch nicht.

Ich finde auch nicht, dass ich ein Verhalten, das meinen moralischen Ansichten widerspricht, tolerieren sollte. Die Souveränität des russischen Volkes sehe ich in keiner Weise gefährdet, wenn ich und hoffentlich auch meine mich vertretende Regierung sich entschieden gegen die massive Unterdrückung einer Minderheit ausspricht und hoffentlich auch bereit ist, im Zweifel Geschäftsbeziehungen ruhen zu lassen.

Ich will damit keinen Populismus betreiben sondern eher aufzeigen, dass die eigene moralische Überzeugung sehr wohl als Maxime des eigenen Handels dienen sollte, wenn ich es damit vergleiche dass, wenn der Kioskbesitzer in meiner Nachbarschaft seine Frau und Kinder schlagen würde, ich mich auch dagegen aussprechen und auf keinen Fall weiter bei ihm einkaufen würde.

Und hier geht es nicht nur um Russland, sondern auch um alle Staaten in denen die Menschenrechte, die als moralischer Minimalkonsenz formuliert wurden, systematisch (per Gesetz) verletzt werden.

Ex-Füchse #197, 24. Juni 2013, um 18:09

Wie heisst Dein Buch über Russland Micha? Ist das schon im Handel?

Friedrich, 24. Juni 2013, um 18:19
zuletzt bearbeitet am 24. Juni 2013, um 18:20

@ Stoni und Cliff: Ich persönlich habe keinen großen Widerspruch in euren jeweiligen Argumentationen ausmachen können. Ihr beide propagiert eine differenzierte Sichtweise auf die politischen Vorgänge in Russland und der gesamten Welt.
Ich habe nirgendwo gelesen, dass Stoni das Vorgehen Putins in allen Belangen gutheißt - ganz im Gegenteil. Er wünscht sich wortwörtlich Wandel in Russland, dabei jedoch ein wenig mehr, um es mal so zu formulieren, Empathie von westlicher Seite. Wie gesagt: Dass eure Meinungen da allzu weit außeinander gehen, kann ich nicht erkennen.

mike2712, 24. Juni 2013, um 19:06

ich bestell dann mal schöne Grüße aus Russland, bin gerade in Tyumen, also ich habe hier mittlerweile in Russland schon insgesamt über 1 Jahr verbracht. Mir gefällt es hier ganz gut.

Ex-Füchse #365, 24. Juni 2013, um 19:06

Danke, Friedrich.
So bewerte ich die Beiträge von Stoni und Cliff ebenfalls.
Ein paar Worte zu Syrien muss ich dennoch loswerden, muss aber vorausschicken, dass ich natürlich, wie wohl die meisten von uns, nicht wirklich über all die verschiedenen Gruppierungen dort Bescheid weiß. Aber, zumindest zu Beginn des Bürgerkrieges, hatte ich doch den Eindruck, dass es sich bei den Oppositionellen zumeist um ganz "normale" Bürger handelte, die, ähnlich, wie in Tunesien oder Ägypten (Libyen hab ich bewusst ausgespart) einfach nur ihre Menschenrechte einforderten. Erst im Laufe der Entwicklung machten sich mehr und mehr islamistische Tendenzen bemerkbar. Hätten die Aufständischen damals schon die Solidarität erfahren, die sie sich wünschten, dann wäre der Einfluss der Islamisten womöglich nie so stark geworden, wie er inzwischen zu sein scheint.

Stoni, 24. Juni 2013, um 19:41

)) Es gibt verlegenswertere und bessere Russland-Kenner.

Ja, Friedrich, genau Wandel durch Annäherung.

Danke, Cliff, für Deinen Standpunkt. Er entspricht weitgehend dem meinen vor 15 Monaten, dem, was aufgeklärte Mitteleuropäer vielfach empfinden (müssen).
Teilweise siehst Du den meinen nicht ganz richtig, teilweise stimme ich zu, teilweise halte ich andere Konsequenzen für hilfreich.

Ich habe nie den Eindruck erwecken wollen, dass Kritik nicht angebracht ist, im Gegenteil sie ist bitter nötig. Heute mehr denn je.

Nur falsche Kritik, einseitige, aus unseren Interessen heraus, belehrend und von oben herab oder auch eine allzu heftige, wie sie im derzeitigen medialen RUS-Bashing stattfindet, die Putins Russland an den Pranger bläst, ruft nur russisches Kopfschütteln hervor, auch bei der Mehrheit oppositioneller Russen, ist leicht zu widerlegen und sorgt nur dafür, dass sich nicht weniger, sondern mehr Russen hinter Putin scharen (werden).

Der klägliche Versuch Jörg Schönenborns zB, Putin mit dieser billigen Kampagne zu stellen, sorgte in Europa, aber vor allem auch in RUS für Gelächter und lieferte dankbare Unterstützung für Putin - also völlig kontraproduktiv für russische Oppositionelle, genauso wie die Miss-Pussy-Riot Titel und Geschichten, die die Frauen nur als Opfer feiern ..

Ich fordere dazu auf, erst uns selbst zu analysieren und/oder auch die USA, unsere Demokratie, Freiheits- und Menschenrechte, bevor wir auf RUS losgehen.

Und dann fordere ich die Kritiker auf, sich erst einmal wenigstens ein bisschen mit RUS faktisch und empathisch zu beschäftigen, weil dann einige Kritik vielleicht ganz wegfällt, einige anders aussieht und vor allem treffsicherer und hilfreicher ankommt.

Man möchte doch i.d.R. mit Kritik etwas erreichen und sie nicht nur los werden oder den anderen nur dumm aussehen lassen...

Tritt der Westen mal wieder als Oberlehrer für Demokratie, Menschenrechte und Freiheit auf mit Sofortforderungen, dann braucht Putin nur an die Zeit der westlichen Freiheit in RUS unter Jelzin erinnern, in der das Land fast völlig zusammenbrach, oder mit den Kriegsverbrechen der USA, den Folterungen, der Verfolgung politischer Gefangener und die aktuellen Menschenrechtsverletzungen gegenhalten, schon ist er fein raus, oder die westlichen Ungerechtigkeiten, oder die Hungernden in USA, oder die Tehntausende Medizintote.
Russen kennen Hunger und schlechte Medizin nur zu gut. Da empfinden sie westliche Belehrungen als wenig verständlich.

Oder Putin sagt, wir brauchen noch Zeit, Demokratie kann man nicht von heute auf morgen entwickeln.

Leider verletzt Putin Gewaltenteilung, Pressefreiheit, Menschenrechte nur ganz selten per Gesetz oder offiziell beweisbar.

Angst, Einschüchterung, Macht ist in den Köpfen der Menschen, sichtbar sind meist nur getötete, entlassene Journalisten oder (zu Recht) angeklagte Oppositionelle. Ihm Verstöße persönlich nachzuweisen oder in mit Menschenrechtsverletzungen in Verbindung zu bringen, wäre das A und O hilfreicher Opposition und ausländischer Medien.

Nicht umsonst ist Nawalnys Block, der Korruption und staatliche Geldverschwendung anprangert so hilfreich und gefährlich für Putin.
Hier würde man den russischen Nerv treffen, so wie Nawalny, der "Einiges Russland" als Partei der Korruption, der Gauner und Verbrecher anklagte. Bis dies offiziell verboten wurde, auch nur zu zitieren.

Offiziell heisst es nicht Verbot von homosexuellen Demonstrationen, sondern "Schutz von Kindern vor Propaganda nicht traditioneller Lebensweisen."
Wie viele Gesetze ist es so schwammig formuliert, dass es Beamte zur Diskriminierung Homosexueller benutzen können/werden, schliesslich sind Kinder überall in der Nähe …
Bei solchen populistischen Maßnahmen muss man leider Geduld haben, die Russen sind da auf unserem Stand der 80er, eine neue Regierung wird das Gesetz nicht aufrecht erhalten.

In einem Punkt habe ich eine diametral andere Position als Du, Cliff.
Veränderungen bewirken wir vor allem durch Annäherungen, wenn wir Russlands Hand loslassen, können wir sie nicht mehr auf die richtige Seite ziehen.
RUS braucht uns nicht, ihre Energiereserven sind riesig, RUS ist ein reiches Land. Boykott o.ä. treibt sie nur weiter auf die asiatische Seite.
(mal abgesehen, dass wir es uns gar nicht leisten könnten, ohne die AKWs wieder hochzufahren)

Unterwerfung unter unsere Vorstellungen zu fordern ist weder angebracht, noch wird man dafür russische Unterstützer finden.
Man muss den Russen schon eigene Positionen und eigene Wege zugestehen, die wir kritisch begleiten sollten.
In den relevanten Punkten auch kritischer und treffsicherer als bisher.
Pussy Riot ist ein denkbar schlechtes Feld, die Homosexuellen leider auch und bei den NGOs braucht Putin auch nur die Ukraine auffahren, deren orangene Revolution von den USA gekauft war ..

Felder, mit denen man Putin schwächt, angreift und der russischen Opposition hilft, sind Gewaltenteilung, unabhängige Justiz, Korruption, Oligarchen von Putins Gnaden, TV- und Pressefreiheit, Flattax für alle, Vermögens- und Steuerthemen, … u.v.m ..
Berichte von Richtern, die zu überharten Pussy-Riot Urteilen gedrängt wurden, wären ein Mittel.
Sie von jeder Schuld frei zu sprechen und die Gören stattdessen zu feiern, stösst 90% der Russen sauer auf und treibt sie in Putins Arme.
Und das sollte das letzte sein, was wir wollen.

Eva, ja, Syriens Opposition war anfangs wohl ein akzeptabler Partner.

Stoni, 24. Juni 2013, um 19:52

Eines noch, Deutschland ist Lieblingsland der Russen. Voller Respekt schauen sie auf uns, manchmal bewundernd, manchmal ein bisschen unverständig, aber generell sehr positiv und mit Nähe.
"Die Deutschen haben den Affen erfunden."

Es ist eine grosse Chance für DEU und die Welt, wenn wir ähnlich wie in der Ostpolitik der 70er Wandel durch Annäherung nach vorne bringen, statt RUS medial zu bashen oder wie Merkel nur Pflichtkritik zu üben, ohne jede Konsequenz.
Selbst FJS wusste um den Vorteil pragmatischer Annäherung und gerade wir Deutschen haben davon ja profitiert, denn es war vor allem RUS, das uns die Wiedervereinigung so schnell ermöglichte. Auf die Betonköpfe der SED hätten wir lange warten können.

Seb1904, 24. Juni 2013, um 21:47

Das FJS-Argument hat mich natürlich voll überzeugt. Und Gesetze, die traditionelle Lebensweisen schützen, würde ich auch in diesem unseren Land durchaus begrüssen.

Ex-Füchse #2525, 24. Juni 2013, um 22:01

Na, dann muss ich doch mal nachfragen:

Was verstehst Du / Ihr denn unter traditionellen Lebensweisen "der Deutschen"?

Stoni, 24. Juni 2013, um 23:21

Der russische Gesetzgeber, die Duma, lässt das wie so oft offen, so dass ausführende Beamte selbst definieren könnten, wessen Propaganda, Demonstrationen, Publikationen sie untersagen. Im Prinzip weiß schon jeder, dass unter 'nicht traditionellen Lebensweisen' Homosexuelle gemeint sind, die viele (auf dem Dorf) noch für krank halten.
Homosexualität selbst ist ja länger straffrei als bei uns, nur sehen es die meisten nicht ein, warum man mit persönlichen sexuellen Neigungen auf die Strasse gehen sollte, sie als Heteros würden es ja auch nicht ...
Gänzlich unverstanden wird es dann aber, wenn der Staat homosexuelle Partnerschaften auch noch steuerlich begünstigt, während allein erziehenden Müttern/(Vätern) dieses Geld vorenthalten wird.
Das einem Russen erklären zu wollen, würde nur Kopfschütteln und Distanz hervorbringen.

Ex-Füchse #2525, 24. Juni 2013, um 23:22

Das waere auch einem Deutschen nur schwer klar zu machen ^^

Cliff, 25. Juni 2013, um 09:45

Ich finde, dass hier vielfach die russische Gesellschaft und das Staatsorgan zu oft vermischt werden. Während ich Dir vollkommen recht gebe, dass eine gesellschaftliche Annäherung der Verständigung zuträglich ist, so finde ich trotzdem, dass ein politisches System, das mit unserer Vorstellung von Grundrechten stark kollidiert, entsprechend deutlich kritisieren werden muss.

Du benutzt dabei starke Worte wie “Unterwerfung unter unsere Vorstellungen” oder “Oberlehrer”, die ich unangebracht finde. Es ist kein Aufzwingen oder Unterwerfen (es wird keinem Staat Gewalt angedroht) sondern eine Entscheidung mit wem man “enge” Kontakte pflegen möchte und ein ehrlicher Ausdruck der Meinung, wenn man deutliche Kritik an einem Zustand äußert, den man als Unrecht empfindet.


Das sollte nicht als Unterwerfung verstanden aber auch nicht benannt werden, sondern als ehrlicher aber da er sich auf moralische Werte bezieht durchaus empathisch geführter Dialog

An Empathie fehlt es nicht. Wenn man selbst keine persönlichen Kontakte in das jeweilige Land hat dann ist es eben leichter diese für einzelne Gruppen zu empfinden.

Dass wir bei Minderheitenschutz empfindlich reagieren wird finde ich persönlich sehr gut.

Stoni, 25. Juni 2013, um 13:09

Es ist Konsens guter Politiker, keine populistische Politik auf Kosten von Minderheiten zu machen, seien es Homosexuelle, Migranten, eben ethnische, sexualorientierte oder sonstige Minderheiten. Es zeigt seine geschwächte Position, dass Putin nun auf Kosten von Homosexuellen populistisch auf Stimmenfang bei den konservativ Gläubigen geht, obwohl das Thema Homosexualität derzeit weder besonders relevant ist, und ihn eigentlich auch überhaupt nicht interessiert.

Wandel durch Annäherung, diese Wort von Egon Bahr gilt für mich mehr den je. Wandel durch Information und Überzeugung, durch Kritik und Förderung, durch Hilfe und Angebote. Wandel durch erhobenen Zeigefinger und Besserwisserei wird man nicht erreichen.

"Oberlehrer" sind wir zB dann, wenn wir von aussen das Urteil für Pussy Riot als Unrecht oder willkürliche Verfolgung bezeichnen, denn das ist es definitiv nicht. Es ist aber auch nach russischen Maßstäben hart und wohl politisch motiviert.
Einer der vielen neuen repressiven Drohgebärden. Aber RUS müssen diese Frauen auch als Täter sehen und bestrafen dürfen, allerdings von einer unabhängigen Justiz.

Die Hetzkampagnen der Medien müssen aufhören, allen voran SPON. Gefälschte und manipulative Berichterstattung, das RUS-Bashing muss aufhören. "Putin-Gegner unter mysteriösen Umständen tot aufgefunden" stand 1/2 Tag als Headline bei SPON .. Beresowski war schon längst zur Strecke gebracht, seit Jahren im Exil, ruiniert und krank, Putin sogar schriftlich um Verzeihung bittend, weit und breit kein Grund, warum Putin in jetzt, jahre später hätte umbringen sollen ..

Solche Hetze schafft Distanz bei den Deutschen zu RUS und in RUS zu den Deutschen, und zwar auch bei denen, die wir als zukünftige Partner und Freunde gewinnen sollten.

"Unterwerfung unter unsere Vorstellungen" liegt immer dann vor, wenn wir nicht akzeptieren, dass Staaten wie RUS eigene Positionen und eigene Wege gehen müssen, dürfen und sollen. Gerade die Jelzin-Ära hat ja gezeigt, wie es ein Land wie RUS destabilisieren und in seiner Existenz bedrohen kann, wenn sie unsere Vorstellungen von Demokratie und Freiheit übereilt und ohne Berücksichtigung ihrer Besonderheiten adaptieren.
Russland "fühlt sich diskriminiert, weil der Westen den Kontinent Europa mit seinen Werten ideologisch okkupiert hat".

Ich würde mir von SPON und Co. viel mehr wirkliche Informationen und Recherchen wünschen. Oder den Aufbau einer russisch sprachigen Website mit Recherchen und Aufklärung über RUS, statt immer nur das Bedienen von westlichen Vorurteilen zur Stimmungsmache und für eigene Verkaufszahlen.

Zu Menschenrechtsfragen in China, Iran, RUS äusserte sich bspw. auch Schmidt warnend, Veränderungen benötigten Zeit. Die Menschenrechte seien ein Erzeugnis unseres Kulturkreises, erklärte er. Den Missionsdrang der freiheitlichen Demokratien hält Schmidt oft sogar für regelrecht anmaßend. Europa und die USA müssen von ihrem hohen Ross herunterkommen, lautet seine Botschaft. Man müsse sich zügeln, und dürfe sich nicht mit westlicher Arroganz in innere Angelegenheiten anderer Staaten einmischen.

Putin werden wir nicht weg bekommen. Dazu ist seine Machtbasis in RUS über die Jahre zu sehr gewachsen und das Land zu autark. Aber tun wir alles dafür, dass 2018 sein letztes Jahr wird, unterstützen wir die Menschen in RUS und werfen der Opposition nicht auch noch Knüppel zwischen ihre ohnehin schon gefesselten Beine.

IngoKnito, 25. Juni 2013, um 13:12

"Knüppel zwischen ihre ohnehin schon gefesselten Beine."

Aua! ;-)

Stoni, 26. Juni 2013, um 10:13

Olympischen Winterspiele 2014 in Sotschi und Fußball WM 2018
http://de.fifa.com/worldcup/russia2018/index.html
http://www.sochi2014.com/

Russland hat 2 sportliche Weltereignisse vor sich.

Laut Angaben des Sportministeriums würden insgesamt 34 Mrd. Euro benötigt, um die Weltmeisterschaft 2018 als Spitzenveranstaltung austragen zu können. Die Kosten der WM könne man mit denen der Olympischen Winterspiele in Sotschi vergleichen, und die schätze man auf 36 Mrd. Euro.
(zusammen also bestimmt 150 Mrd ..)

WM 2018: Russland baut Fußballtempel
http://de.ria.ru/photolents/20130625/266341604.html

11 Städte sind Austragungsorte, darunter Volgograd .. für die 1.000km dorthin braucht man von Moskau mit der Bahn bisher 24 Stunden ... und die "Strassen" dort wird man der Welt bestimmt nicht zeigen wollen ... eine riesige Aufgabe für das ganze Land.
Alle in Volgograd haben gezittert, die riesige Mückenplage immer im Mai/Juni ist eine grosses Handicap .. dennoch konnte man an Volgograd als nationales Symbol wohl nicht vorbei. Zum Glück, sonst wäre man bei der Modernisierung des Landes runter gefallen.

Darüber hinaus sei bis zur Weltmeisterschaft noch ein weiteres Schnellbahnnetz geplant. Dieses umfasst die Strecken Moskau – Sankt Petersburg und Moskau – Nischni Nowgorod – Kasan. Seine Kosten sind laut der Russischen Eisenbahn AG ebenfalls horrend: Sie sollen sich auf etwa 36 Mrd. Euro belaufen.

neuerhotte, 26. Juni 2013, um 11:30
zuletzt bearbeitet am 26. Juni 2013, um 11:51

Es gibt in jüngster Zeit einige Beispiele wo eine anfangs kleine dann aber immer größer werdende Zahl der jeweiligen Menschen gegen ihre 'frei gewählten' oder auf andere Weise zur macht gekommenen Führer rebellieren. Man kann diejenigen nur bewundern die den Mut dazu aufbringen sich nicht bevormunden und in ihrer freien Meinungsäusserung einschränken lassen erst recht nicht wenn es um Kritik an den bestehenden Machthabern geht.
Das Beispiel Türkei und einige davor zb in Lybien, Syrien sind für mich der Anfang einer Entwicklung die sich nicht mehr aufhalten lassen wird.
In immer mehr Menschen auf dieser Welt (besonders durch das Internet) wird der Wunsch wachsen folgendes einzufordern:
Persönliche Meinungs-. Redefreiheit und auch das Recht sich öffentlich zu versammeln nach unserem westlichen Vorbild.
Diese zwangläufige Entwicklung wird auch in Staaten wie Russland, China oder islamistisch geprägten Ländern nicht Halt machen.
Man muß kein Verständnis aufbringen für die Machthaber dieser Staaten und auch nicht für Teile der Bevölkerung die sich 'klein machen' läßt.
Viel mehr sollte unsere Unterstützung denjenigen gelten die sich nicht von einer autoritären Elite in ihren elementarsten Rechten beschränken lassen.

Stoni, 26. Juni 2013, um 12:06

Weitgehend einverstanden.
Verständnis für oder Einfühlung in derartige Machthaber ist ausserhalb taktischer Überlegungen auch nicht richtig.
Verständnis für oder Einfühlung in ein geschichtlich oder kulturell anders geprägtes Volk ist hingegen für mich eine Selbstverständlichkeit statt zu glauben, jeder müsse unsere westlichen Vorstellungen 1:1 übernehmen.
Denn nur so kann man diejenigen unterstützen, die sich nicht von einer autoritären Elite in ihren elementarsten Rechten beschränken lassen.
Das Internet ist ein mächtiges Instrument für Wahrheit.
Es ist bewundernswert, wie oft und wie viele Mutige sich abführen lassen, nur um für wenige Sekunden auf dem Roten Platz ihre Plakate hochzuhalten. Und den anderen so via Internet Mut machen und der Welt das Bild des anderen RUS zeigen.
Dennoch, auch wir sind nicht alles Helden und ich habe schon auch Verständnis für Teile der Bevölkerung die sich 'klein machen' lassen.

neuerhotte, 26. Juni 2013, um 12:18

einem möchte ich hier entschieden widersprechen:
das die Menschenrechte (besonders in den von mir gewählten Beispielen) eine 'Erfindung' unseres Kulturkreises wäre ist blanker Unsinn.
Man muss nicht alles gut befinden was ein sonst von mir sehr geschätzter ehemaliger Bundeskanzler von sich gibt.
Die älteste Demokratie wie bekannt gab es in Griechenland (eher nicht zu unserem Kulturkreis zugehörig) und da hatten die erwähnten Menschenrechte schon eine sehr hohe Bedeutung.
Leider entwickelte sich die Menschheit dann trotz des durchaus positiven Vorbildes danach mit den Römern in eine für mich vollkommen falsche Richtung:
machthungrig, menschenverachtend.
Ein falsches Vorbild für viele folgende Kulturen und leider prägend bis in die heutige Zeit.

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